Auch wenn unser Gesundheitsminister im Zusammenhang mit den zu erwartenden Impfstoffen von einem Licht am Ende des Tunnels spricht, bestimmt die Corona-Pandemie nach wie vor unser Leben, nicht zuletzt sind die Kulturschaffenden davon besonders hart betroffen. Glücklicherweise müssen wir uns nicht treffen, brauchen keine Bühne, sondern können uns mit gebührendem Abstand den Texten der vorliegenden Bawülon widmen. Und da gibt es wieder einiges zu entdecken.
In dem Kapitel Die Welt und ihre Dichter überwiegt dieses Mal die Lyrik. Den Anfang macht der rumänische Dichter Petru Ilieșu mit seinem Text 2. Kapitel (Exhibition, ¼ Biografie). In diesem Langgedicht macht sich das lyrische Ich zu einer Wanderung mit teilweise biografischen Ereignissen außerhalb und mehr noch innerhalb Rumäniens auf.
Vierzehn Gedichte steuert Edvard Militonyan aus Armenien bei, der sich abgesehen von einem kleinen Prosatext, in Gedichten mit Persönlichkeiten der Literatur und in dem Zyklus Marathonlauf gesellschaftlichen Entwicklungen widmet.
Was das Leben in das Schilf schreibt lautet eine Zeile aus einem der sieben Gedichte von Peter Ettl, die er uns aus Regensburg geschickt hat. Neben schönen Naturbildern lässt er auch eine Katze mit ihrem Frust zu Wort kommen.
Über die dieses Jahr mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnete US-amerikanische Lyrikerin Louise Glück schreibt Matthias Buth in einem seiner acht Gedichte: Glück / Wer so heißt / kann nur Poetin werden ist es von Beginn an. Dass die Poesie sich auch weniger angenehmen Themen widmen kann / muss, zeigt der Autor in den Gedichten über den Lockdown und das Querdenken.
Wenn Sie das Flittchen Poesie und Nico, den politischen Witz kennenlernen wollen, müssen Sie den Auszug aus Friedrich Schullers Theaterstück Ossis Stein lesen. Ossi war der Spitzname von Oskar Pastior, um dessen Genialität und Widersprüchlichkeit es in dem Theaterstück geht.
Das Kapitel Zeitgeschichte eröffnet Matthias Buth mit einem informativen und gleichsam sehr ergreifenden Text über das Leben der Sinti Philomena Franz, die fast als Einzige ihrer Familie Auschwitz überlebt hat. Die Beschreibung seiner persönliche Bekanntschaft und die Begegnungen mit dieser bewundernswerten Dame ergänzt der Autor mit historischen und kulturellen Betrachtungen über die Vorstellungen, die zu den gängigen Vorstellungen über Sinti und Roma führten.
Über eine Abenteuerreise mit Chor, die, wie Widmar Puhl selbst-
ironisch schreibt, durch ein ambitioniertes, will heißen ziemlich hektisches Programm bestimmt war.
Im Atelier sind in dieser Ausgabe Lyrik und Prosa in gleicher Anzahl vertreten. Als Erster stellt Ewart Reder zehn Gedichte vor, die in bilderreicher Sprache sich mit teilweise biografischem Hintergrund über das Wachsen, Zeithaben und das Sich-Zurechtfinden in der Welt sprechen.
In vier Gedichten beschreibt Widmar Puhl unter dem sprechenden Namen Saisonette vier Jahreszeiten und in sieben Gedichten fängt Steffen M. Diebold in poetischer Sprache mit wenigen Worten die Atmosphäre konkreter Situationen ein.
Einen Auszug aus seinem Roman Einer, der Hans hieß präsentiert Dietfried Zink. Es geht um einen Gefangenen, dem es gelingt, aus einem Gefangenenlager in Sibirien auszubrechen. Die Geschichte ist spannend geschrieben, und ich würde gerne wissen, wie es mit diesem Hans weitergeht.
In dem Text von Norbert Sternmut Was geht beschreibt ein atemloser Ich-Erzähler ohne Punkt und Komma seine zunehmende Verzweiflung in immer wiederkehrenden Bildern des Schreckens.
Baba tánti heißt die Erzählung von Béla Büchl und es ist gleichzeitig der Name der Protagonistin, von der der Autor erzählt. Diese Baba Tánti hat ihn sein Leben lang begleitet, war sogar dabei, als Béla Büchl wie viele aus dem Banat in die Bărăgan-Ebene ausgesiedelt wurden.
Wer über die Feiertage noch Lesestoff benötigt oder vielleicht ein weiteres Geschenk sucht, kann im Bücherregal fündig werden. Mit den Worten dunkel und schön wie eine Liebesnacht empfiehlt Widmar Puhl den Lyrikband des georgischen Dichters Nika Jorjaneli, Roter Schein sowie das Werk von Amiran Swimonischwili, der ebenfalls aus Georgien stammt und dessen Buch der Rezensent einen Schatz nennt.
Mit Wolfgang Schlott begeben wir uns in die Fantasy-Literatur. Als großes Lesevergnügen stellt er uns nämlich den Roman Der Heilige mit der roten Schnur von Flavius Ardelean aus Rumänien vor. Für Liebhaber der Romantik hat Wolfgang Schlott sich auch mit dem Band Caspar David Friedrich trifft Dichter der Romantik beschäftigt sowie sehr ausführlich mit dem zweisprachigen Lyrikband des Botschafter Rumäniens in Berlin Emil Hurezeanu, Zärtlichkeit, Routine.
Zwei weitere Bücher stehen im Regal, beide von Uli Rothfuss besprochen und von beiden ist er begeistert. Da wäre zum einen der Prachtband von Tobias Engelsing, Leiners Erben, das unter dem Untertitel Biografie eines Museums die Geschichte des Rosgarten Museums in Konstanz zeigt. Und zum anderen beeindruckt ihn ebenso der Bildband von Nicole Strasser über den Sehnsuchtsort Normandie.
Die Kapitel Aus der Kulturszene und Forum werden in dieser Ausgabe ausschließlich von Widmar Puhl bespielt. In dem Artikel Nur ein halber Mensch beschreibt er, wie sehr der Lockdown mit seinen Einschränkungen sein Leben beeinflusst, während er in Wild, bunt, lebendig von der Grafitti-Kunst im Stuttgarter Hauptbahnhof sehr beeindruckt ist.
Mit der Villa Berg und dem alten SWR-Fernsehstudio verbindet Widmar Puhl sein ganzes Berufsleben. Umso mehr schmerzt es ihn, dass dieser Ort nun zusehends verfällt und zu einem der Lost Places der Kultur in Stuttgart wird.
Sektierer aller Länder vereinigt Euch! ruft uns Widmar Puhl als Letztes zu, und es braucht nicht viel Fantasie, um zu verstehen, wer damit gemeint ist.
Schließlich möchte ich Sie noch auf den offenen Brief von Kulturschaffenden an die Bundeskanzlerin aufmerksam machen. Es geht um die Freiheit der belarussischen Oppositionellen Maria Kalesnikava, die an unbekanntem Ort festgehalten wird.
Bleibt mir nur noch, Ihnen eine schöne Adventszeit zu wünschen. Vielleicht gibt es an Ihrem Wohnort ja Glühwein to go, und wenn nicht, trinken Sie ihn bei der Bawülon-Lektüre gemütlich zu Hause.
Ihre
Barbara Zeizinger
Es signiert:
• Petru Iliesu • Edvard Militonyan • Peter Ettl • Matthias Buth • Frieder Schuller • Widmar Puhl • Ewart Reder • Barbara Zeizinger • Steffen M. Diebold • Dietfried Zink • Norbert Sternmut • Béla Büchl • Wolfgang Schlott • Uli Rothfuss •
Editorial / S. 5
Die Welt und ihre Dichter
Petru Iliesu • 2. Kapitel (Exhibition, ¼ Biografie) / S. 7
Edvard Militonyan • Vierzehn Gedichte / S. 22
Peter Ettl • Sieben Gedichte / S. 40
Matthias Buth • Acht Gedichte / S. 47
Frieder Schuller • Auszug aus dem gleichnamigen Theaterstück / S. 55
Zeitgeschichte
Matthias Buth • Philomena Franz – Ein Engel, der uns meint / S. 77
Widmar Puhl • Abenteuerreise mit Chor . Teil I / S. 87
Atelier
Ewart Reder • Zehn Gedichte / S. 104
Widmar Puhl • Vier Saisonette / S. 118
Steffen M. Diebold • Sieben Gedichte / S. 122
Dietfried Zink • Einer, der Hans hieß . Auszug aus dem gleichnamigen Roman / S. 129
Norbert Sternmut • Was geht . Prosa / S. 141
Béla Büchl • Baba tánti . Prosa / S. 148
Bücherregal
Widmar Puhl • Nika Jorjaneli . Roter Schein. / S. 166
Widmar Puhl • Amiran Swimonischwili . Gedichte. / S. 169
Wolfgang Schlott • Flavius Ardelean . Der Heilige mit der roten Schnur. / S. 173
Wolfgang Schlott • Caspar David Friedrich trifft Dichter der Romantik. / S. 175
Wolfgang Schlott • Emil Hurezeanu . Zärtlichkeit, Routine / S. 178
Uli Rothfuss • Tobias Engelsing . Leiners Erben. / S. 181
Uli Rothfuss • Nicole Strasser . Normandie / S. 182
Aus der Kulturszene
Widmar Puhl • Nur ein halber Mensch / S. 184
Widmar Puhl • Wild, bunt, lebendig: Grafitti-Kunst im Stuttgarter Hauptbahnhof / S. 186
Widmar Puhl • Lost Places der Kultur in Stuttgart: Die Villa Berg
und das alte SWR-Fernsehstudio / S. 189
Forum
Widmar Puhl • Sektierer aller Länder, vereinigt Euch! / S. 196
Freiheit für Maria Kalesnikava – ein offener Brief von Kulturschaffenden an Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel / S. 199