Das neue Jahr reibt sich noch die Augen und versucht das schnelle Gehen, da ruft die neue BAWÜLON schon ick bün all dor. Noch ist es nicht zu spät, unseren treuen Leserinnen und Lesern ein gutes Neues Jahr zu wünschen mit der schönen Doppelzahl 2020. Wie schön passt dazu, dass diese Ausgabe mit 210 Seiten unser Ziel um nur 10 Seiten verfehlt hat. Erste Ausgabe 2020 mit 200 Seiten. Genug der Zahlenspielereien.
„Die Welt und ihre Dichter“ stellt den rumänischen Autor Viorel Marineasa mit dem Prosatext Streng und zärtlich vor. Marineasa, 1944 in Ţipari im rumänischen Timis geboren, studierte Philologie an der Universität Timişoara (Temeswar). Nach der Promotion arbeitete er als Methodist / Referer im Student Culture House in Timişoara, fungierte als Herausgeber der Literaturzeitschrift „Orizont“, leitete die Kulturabteilung der Zeitung „Renaşterea bănăţeană“ und war schließlich Dozent für Politikwissenschaft, Philosophie und Kommunikation an der Western University Timişoara. Immer wiederkehrendes Thema seiner Bücher ist die Deportation nach Bărăgan. 1951 wurden 40.000 Deutsche, Serben, Ungarn, Bessarabien-Rumänen und Mazedo-Rumänen zwangsweise in den Bărăgan umgesiedelt. Streng und zärtlich, von Maria Herlo aus dem Rumänischen übersetzt, ist eine ganz besondere Liebesgeschichte, mehr soll nicht verraten werden.
Iris Wolff gratulieren wir zum Thaddäus-Troll-Preis 2019 und stellen sie mit ihrem Prosatext (Er)zählen vor, einer einfühlsamen kleinen Geschichte aus ihrer Jugend. 1977 in Hermannstadt geboren, aufgewachsen im Banat und in Siebenbürgen kam sie 1985 nach Deutschland, wo sie Germanistik, Religionswissenschaft und Grafik & Malerei studierte. Danach arbeitete sie am Literaturarchiv Marbach. Bisher hat Iris Wolff drei Romane veröffentlicht und 2019 den Marieluise-Fleißer-Preis erhalten.
Jan Snelas Laudatio zur Verleihung des Thaddäus-Troll-Preises ist einfühlsam und kenntnisreich und macht Lust, einmal einen Roman von Iris Wolff zu lesen.
Gerd Weisskirchen, bekannt als langjähriger Bundestagsabgeordneter der SPD, hielt die Rede auf Benedikt Dyrlich, den Träger des Andreas-Gryphius-Preises 2019. Mit diesem Preis, der in erster Linie das Gesamtwerk würdigt, werden Autoren und Übersetzer ausgezeichnet, deren Werke die deutsche Kultur in Mittel-, Ost- und Südosteuropa reflektieren und die zur Verständigung zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn beitragen. Benedikt Dyrlich, geboren 1950 in Räckelwitz bei Bautzen, war nach dem Studium der Theaterwissenschaft Dramaturg am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen, 1990 bis 1994 Abgeordneter im Sächsischen Landtag, danach Chefredakteur der “Serbske Nowiny“ (=sorbische Tageszeitung) und seit 2012 freier Autor und Publizist. Er schreibt Lyrik, Prosa und Essays in sorbischer und deutscher Sprache. Zuletzt erschienen ist 2019 Leben im Zwiespalt – Erinnerungen Band 2. Dyrlichs Texte wurden in viele Sprachen übertragen, darunter ins Polnische, Tschechische, Slowakische, Serbische, Russische, Slowenische, Ukrainische, Finnische und Arabische. Aus seinem 2018 erschienenen Buch Leben im Zwiespalt 1. Aus Tagebüchern, Briefen und Beiträgen. 1964–1989 drucken wir eine größere Auswahl ab, die Einblick gewährt in die Zerrissenheit einer kritischen Existenz in der DDR. Näheres zur Vita des Dichters Dyrlich erfahren wir von Dietrich Scholze und seinem Verleger Traian Pop, der auch berichtet von der Verleihung des Sonderpreises für Kritik und Literaturgeschichte des Schriftstellerverbandes Timişoara (Temeswar / Rumänien) an Horst Samson, dem wir ganz herzlich zu diesem Erfolg gratulieren. Mit diesem Preis wurde sein 2018 beim Pop-Verlag erschienenes Buch „Heimat als Versuchung – Das nackte Leben gewürdigt. Der Germanist und Rumänist Eduard Schneider interpretiert Samsons Lyrik als „lyrische Psycho- und Kryptogramme eines Lebens unter der Diktatur“. Gekonnt sind auch seine Auftritte mit selbstkomponierten Songs zu eigenen Texten. „Vielleicht wird der nächste Band den Liedern von Horst Samson gewidmet sein.“ So der Verleger Traian Pop. Wir drucken einige Gedichte Samsons ab, die seine sprachliche Kunst erkennen lassen. Den Rezensenten hat ganz besonders Sanary-sur-Mer berührt.
Anton Sterbling, Mitbegründer der regimekritischen rumäniendeutschen Autorengruppe Aktionsgruppe Banat, der Rumänien schon 1975 verließ, ist ein profunder Kenner der politischen und kulturellen Situation im „sozialistischen“ Rumänien. Er stellt uns kurz und präzise Leben und Werk Samsons vor. Er zitiert den Schweizer Autor und Kritiker Erwin Messmer, der das Werk Samsons auf den Punkt bringt. Die Texte sind bitter und zärtlich, ironisch distanziert und bekenntnishaft, resigniert und kämpferisch, dazu von einer sprachlichen Vitalität und Unverbrauchtheit, wie sie in neueren Gedichtbänden nur noch ganz selten anzutreffen ist.
Werner Kremm, 1951 geboren in Großsanktnikolaus (Banat), studierte Germanistik und Kommunikationswissenschaften und ist Mitbegründer der Aktionsgruppe Banat. Kremm gibt unter dem Titel Wie es weiterging. Die Banater Schwaben nach 1989 einen Überblick über die schwierige Situation der Rumäniendeutschen auch noch nach der Wende. Heute lebt nur noch ein Bruchteil von ihnen in der angestammten Heimat.
Von Michael Hillen lesen wir interessante und sprachlich fein ziselierte Gedichte. Norbert Sternmut steuert Gedichte und zwei Prosatexte Eine Art Einsamkeit und Durch die Glastür bei.
Mit der Journalistin Andriana Carcu und dem Fotografen Richard Wayne tauchen wir ein in die Welt des Jazz.
Unser Bücherregal ist wieder gut gefüllt. Thomas Ernest und Wolfgang Schlott besprechen lesenswerte Neuerscheinungen.
Widmar Puhl führt uns zum „Schwäbischen Taj Mahal“, sprich, zum Grabmal von Königin Katharina Pawlowna in den Weinbergen auf dem Rotenberg in Stuttgart-Untertürkheim. Wer noch nicht dort gewesen ist, sollte, so der Tipp Puhls, den ich nur voll unterstützen kann, der sollte es nachholen, am besten an einem sonnigen Frühlingstag.
Die Redaktion von BAWÜLON wünscht allen Lesenden (!) viele Stunden Leselust und ein gutes, gesundes 2020.
Rainer Wedler
Es signiert:
• Viorel Marineasa • Iris Wolff • Jan Snela • Benedikt Dyrlich • Horst Samson • Anton Sterbling • Gert Weisskirchen • Werner Kremm • Michael Hillen • Norbert Sternmut • Adriana Carcu • Richard Wayne • Thomas Ernest • Wolfgang Schlott • Widmar Puhl • Traian Pop Traian •
Inhalt
Rainer Wedler • Editorial / S. 5
Die Welt und ihre Dichter
Viorel Marineasa • Streng und zärtlich / S. 7
Thaddäus-Troll-Preis 2019
Iris Wolff • (Er)zählen / S. 21
Jan Snela • Der Engel der Sterblichkeit gibt uns die Zeit, die bleibt / S. 26
Andreas-Gryphius-Preis 2019
Gert Weisskirchen • Benedikt Dyrlich: Wer das Gute sagt, nimmt der Angst den Schrecken / S. 35
Benedikt Dyrlich • Erinnerungen an das letzte Jahrzehnt in der DDR . Leben im Zwiespalt / S. 45
Traian Pop Traian • Ich schlage vor / S. 101
Traian Pop Traian • Überwintern im Niemandsland . Sonderpreis der Jury des Schriftstellerverbands Timișoara 2019 für Horst Samson / S. 105
Horst Samson • Acht Gedichte / S. 109
Anton Sterbling • Horst Samson – kein „Abschied vom Lied“ oder die reale Anwesenheit im Imaginären / S. 121
Zeitgeschichte
Werner Kremm • Wie es weiterging. Die Banater Schwaben nach 1989 / S. 133
Atelier
Michael Hillen • Zehn Gedichte / S. 150
Norbert Sternmut • Winterdienst . Trauma . Gedichte und Prosa / S. 160
Adriana Carcu • Das Lied aus dem Norden . Norwegischer Jazz in Wort / S. 175
Richard Wayne • Norwegischer Jazz . Acht Portraits / S. 182
Adriana Carcu • An der Wegkreuzung, ein Trompetenlied . Norwegischer Jazz in Wort / S. 193
Bücherregal
Thomas Ernest • Im Atmungskreislauf der Sprache . Zu neuen Gedichten von Peter Gehrisch / S.197
Wolfgang Schlott • Danilo Kiš . Psalm 44. / S.199
Wolfgang Schlott • Horizonte. Über Hans Bergels literarisches Werk. / S. 202
Aus der Kulturszene
Widmar Puhl • Das „schwäbische Taj Mahal“ / S. 207