Bawülon 1/2016 (21) • Brücken im Zugwind • Sorben und ihre Freunde erstmals vereint in Wort und Bild

Bawülon 1/2016 (21) • Brücken im Zugwind • Sorben und ihre Freunde erstmals vereint in Wort und Bild

Das neue Heft von BAWÜLON ist wieder ein opulentes Buch geworden. Es ist einer Literatur in Deutschland gewidmet, die noch unbekannter ist als die Existenz dieser sprachlich-kulturellen Minderheit im östlichen Sachsen und Brandenburg. Die Rede ist von den Sorben. Nebenbei: Auch das Rechtschreibprogramm kennt die Sorben nicht und markiert sie rot als Schreibfehler.
Deshalb sei ein riskant B_21-Akurzer Blick in die Geschichte erlaubt. Dieses westslawische Volk hat eine wechselvolle Geschichte, die 1400 Jahre belegbar zurückreicht. Im Zuge der deutschen Ostsiedlung wurden die westslawischen Siedlungsgebiete, die ja einst bis nach Hamburg und Bamberg reichten, Teil der sächsischen Ostmark. Der spätere Landesausbau und die Urbarmachung wurden von sorbischen Bauern mitgetragen. Im Laufe der Jahrhunderte wurde durch die Überzahl der Deutschen das Sorbische fast ganz verdrängt. Immerhin erschien aber 1548 die erste Übersetzung des Neuen Testaments in die sorbische Sprache, die nach dem Dreißigjährigen Krieg sich weiter festigen konnte. Diese Entwicklung erlitt im 19. Jahrhundert einen Rückschlag im Zuge der Nationalisierung der Politik. Die positive Entwicklung in der Weimarer Republik wurde jäh unterbrochen durch Sprachverbote und Assimilationsversuche der Nationalsozialisten. Sorben sollten „wendisch sprechende Deutsche“ werden. Die Politik der DDR war ambivalent, sie half sorbische Schulen und Kulturinstitute, darunter den Domowina-Verlag in Bautzen, zu gründen und zu unterhalten, förderte den (gelenkten) internationalen literarischen und kulturellen Austausch vor allem mit den ost- und südeuropäischen Nachbarn, gleichzeitig aber verstärkte sich die Tendenz zur Assimilation. Dabei haben etliche Autoren die sorbische Literatur für ihre deutschen und slawischen Nachbarn geöffnet, aber auch für die Moderne. Die sorbische Bevölkerung wurde 1990 auf etwa 60.000 geschätzt. Nach wie vor bedroht der Braunkohleabbau sorbische Dörfer.
Über die Literatur und Kunst des Volkes der Sorben ist in Deutschland, zumal in den alten Bundesländern, immer noch wenig bekannt, obwohl in den vergangenen Jahren etliche Anthologien sorbischer Dichtung und Bücher einiger sorbischer Autoren auch in deutscher Sprache erschienen sind. (Die meisten sorbischen Autoren, über die man sich auch in Wikipedia informieren kann, schreiben ja in zwei Sprachen, sorbisch und deutsch.) Dennoch bleiben Unkenntnis und Gleichgültigkeit gegenüber der Literatur und Kultur der Sorben in Deutschland bestehen – die Volksgruppe wird in den Medien weitgehend auf Folklore reduziert.
Deshalb ist es umso verdienstvoller, dass der Pop-Verlag eine Auswahl sorbischer Literatur und Publizistik in dieser Zeitschrift auf über 270 Seiten vorstellt, in der (fast) alle wichtigen Stimmen der gegenwärtigen sorbischen Literaturszene zu Wort kommen. Dies ist kein Zufall, sind doch in unserem Verlag schon einige sorbische Titel erschienen.
Dabei hat Benedikt Dyrlich, der die umfangreiche Auswahl organisiert und redigiert hat, in dieser Anthologie Neues mit Traditionellem verbunden: Die Sammlung schlägt „Brücken im Zugwind“ zu Autoren und Übersetzern vor allem in Ost- und Südeuropa, die literarische und publizistische Kontakte zu sorbischen Autoren pflegen und deren Arbeiten in ihrem eigenen Kultur- und Sprachraum bekannt machen.
Ein weiterer Aspekt soll nicht unerwähnt bleiben: Die Auswahl zeigt sorbische und europäische Autoren, Nachdichter und Künstler „vereint in Wort und Bild“. Diese Verknüpfung war möglich, weil Benedikt Dyrlich mit Monika Dyrlichowa und dem Domowina-Verlag in Bautzen weitgehend unveröffentlichte Fotos von zahlreichen Begegnungen von sorbischen Autoren und ihren Freunden und Förderern zur Verfügung gestellt haben; Ausgangspunkt dieser Kontakte in der jüngsten Vergangenheit war sehr oft das internationale, wenn auch kleine Fest der sorbischen Poesie, das seit 1979 jedes Jahr in der Lausitz stattfindet.
Der Pop-Verlag dankt allen Autoren und Organisatoren für die vielfältige Hilfe und Mitarbeit an diesem herausragenden „Lesebuch“, das ein Beleg ist für die Offenheit und Fremdenfreundlichkeit der Menschen in der Lausitz und in Bautzen, der „obersorbischen Hauptstadt“.
Jerzy Kaczmarek, Mitglied des Stuttgarter deutsch-polnischen Autoren-kreises, hat eine Reise nach Stuttgart in einem Langgedicht verewigt.
Mit Carsten Piper kommen wir in bekannte Gefilde. Er hat sich dieses Mal die Bauernregeln vom Siebenschläfer vorgenommen.
Und Henning Schönenberger kann nicht ablassen von seinem Jahrhun-dertwerk geheimschrift, in diesem Heft singt er den zehnten gesang.
Gedichte von Klaus Martens und Peter Frömmig sowie ein Gespräch Barbara Zeizingers mit Eric Giebel schließen sich an.
Wie immer gut gefüllt ist das Bücherregal mit Besprechungen von Wolfgang Schlott, Charlotte Ueckert, Eric Giebel und dem am 19. Februar verstorbenen Lyriker Michael Starcke, dem sein Freund Klaus Martens einen Nachruf widmet.
Der Frühling steht vor der Tür, er wird viel Sonne bringen, aber auch ein paar Regentage für den Rückzug mit der BAWÜLON in den vertrauten Lesesessel.
Rainer Wedler

Es signiert:

• Peter Handke • Martin Walde • Benno Budar •  Měrana Cušcyna • Mićo Cvijetić • Emilia Deutsch •  Yana Arlt • Goran Djordjević • Róža Domašcyna • Benedikt Dyrlich • Tetjana Dzjuba • Maja Haderlap • Milan Hrabal • Peter Huckauf • Jurij Koch • Jan Krasni • Wjatscheslaw Kuprijanow • Kito Lorenc • Tomasz Nawka • Aleksander Nawrocki  • Marion Quitz • Richard Pietraß • Bernd Pittkunings • Dana Podracka • Traian Pop Traian • Milan Richter • Christine Ruby • Ludmiła Małgorzata Sobolewska • Dorothea Šołćina • Wolfgang Wache • Karl Vouk • Peter Wittig • Norbert Weiß • Dietrich Scholze • Jerzy Ł. Kaczmarek • Carsten Piper • Henning Schönenberger • Klaus Martens • Peter Frömmig • Barbara Zeizinger • Eric Giebel • Wolfgang Schlott • Peter Frömmig • Michael Starcke •

 


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